Origami nach Ohrwurmart

ETH-Forscher entwickelten multifunktionale Origami-Strukturen und stellten diese mit dem 3D-Drucker her. Das den Formen zugrundeliegende Prinzip schauten sie dem Ohrwurm ab.

Vergr?sserte Ansicht: Die Flügel eines Ohrwurms werden durch das Flügelmittelgelenk ohne Energie- oder Stabilisationsaufwand aufgespannt. (Bild: Jakob Faber / ETH Zürich)
Die Fl¨¹gel eines Ohrwurms werden durch das Fl¨¹gelmittelgelenk ohne Energie- oder Stabilisationsaufwand aufgespannt. (Bild: Jakob Faber / ETH Z¨¹rich)

Jedes Kind kennt Origami. Die fern?stliche Faltkunst erm?glicht es, aus einem flachen Blatt Papier teilweise sehr komplexe Formen zu falten. Origami kommt aber auch in der Natur vor. Eines der aussergew?hnlichsten Beispiele daf¨¹r ist der Fl¨¹gel des Ohrwurms. Er ¨¹bertrifft menschgemachte Faltkunstwerke bei weitem.

Der offene Fl¨¹gel des Ohrwurms ist mehr als zehnmal gr?sser als der geschlossene ¨C ein Weltrekord im Tierreich. Die grosse Tragfl?che erlaubt es dem Insekt zu fliegen. Und dank der kompakten Packung kann es auch in unterirdischen Tunneln herumwuseln, ohne die Fl¨¹gel zu besch?digen. Speziell ist am Fl¨¹gel allerdings noch etwas Weiteres: Im offenen Zustand ist er stabil, ohne dass der Ohrwurm daf¨¹r Muskelkraft zur Stabilisierung einsetzen muss, und mit nur einem ?Klick? faltet sich der Fl¨¹gel von selbst komplett ein, ebenfalls ohne Einsatz von Muskelarbeit.

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Die Origami-Kunst des Ohrenwurms

Simulation bringt es an den Tag

Forscher der ETH Z¨¹rich und der Purdue University sind nun dem Geheimnis des Ohrwurm-Origamis auf die Spur gekommen. Sie haben eine k¨¹nstliche Struktur geschaffen, die nach dem gleichen Prinzip funktioniert. Die Arbeit erschien soeben in der Fachzeitschrift ?Science?.

Um Aufbau und Funktionsweise des Fl¨¹gels zu analysieren, nutzte der Erstautor der Studie, Jakob Faber aus der Gruppe von ETH-Professor Andr¨¦ Studart in Zusammenarbeit mit Andres Arrieta, Professor an der Purdue University, eine Computersimulation des Fl¨¹gels.

Sie zeigt: W¨¹rde der Fl¨¹gel nach dem klassischen Origami-Prinzip mit starren und geraden Falten mit einer Winkelsumme von 360 Grad in deren Schnittpunkten funktionieren, k?nnte ihn das Insekt auf nur einen Drittel seiner Gr?sse zusammenfalten. Vielmehr ist es f¨¹r den Ohrwurmfl¨¹gel zentral, dass seine Falten elastisch sind und entweder als Zug- oder Drehfeder wirken k?nnen.

Tats?chlich sind die Falten des Ohrwurmfl¨¹gels mit einem besonderen f?digen Protein ausgestattet, dem sogenannten Resilin. Je nach Anordnung und Dicke der Resilin-Lagen fungiert eine Falte als Zug- oder als Drehfeder. Manchmal liegen beide Funktionen kombiniert vor.

Zudem untersuchten Faber und seine Kollegen den Punkt im Ohrwurmfl¨¹gel, der sowohl f¨¹r die Stabilit?t des offenen als auch des geschlossenen Zustands verantwortlich ist: das Fl¨¹gelmittelgelenk. Dort kreuzen sich Faltlinien in Winkeln, die zum klassischen Origami eigentlich nicht kompatibel sind. ?Diese Stelle arretiert den Fl¨¹gel im offenen wie im geschlossenen Zustand?, betont Faber.

4D-Druckerzeugnis

Die Erkenntnisse aus den Computerexperimenten ¨¹bertrugen die Forscher auf einen Multimaterial-Drucker. Damit stellten sie in einem Durchgang ein sogenanntes 4D-Element aus vier harten Kunststoffplatten her, miteinander verbunden ¨¹ber einen weichen elastischen Kunststoff. Die Federfunktionen der Verbindungsfalten wurde dem Material einprogrammiert, sodass diese dem nat¨¹rlichen Vorbild entsprechend f¨¹r Zug- oder Drehbewegungen verantwortlich sind.

In seiner ge?ffneten Form ist das Element wie der Insektenfl¨¹gel stabil. Tippt man es leicht an, faltet es sich von selbst zusammen.

Die Forscher haben das Prinzip in einem n?chsten Schritt auf gr?ssere Elemente ¨¹bertragen und eine Origami-Greifzange gedruckt. Diese schliesst sich von selbst, arretiert und kann dann Gegenst?nde halten, ohne dass sich die Zange ?ffnet.

Platzsparende Solarsegel

Noch sind Fabers 3D-gedruckte selbstschliessende Origami-Elemente Prototypen. Als Anwendung kommt zum einen faltbare Elektronik in Frage. Aber auch die Raumfahrt ist interessiert an Solarsegeln f¨¹r Satelliten oder Raumsonden, die sich auf kleinstem Raum transportieren und sich am Einsatzort grossfl?chig aufspannen lassen. Sich selbst arretierende Origami-Strukturen nach Ohrwurmfl¨¹gelvorbild w¨¹rden Platz, Gewicht und Energie sparen, da sie keinen Antrieb und keine zus?tzlichen Stabilisatoren ben?tigen.

Der ETH-Forscher kann sich aber auch profanere Dinge vorstellen wie selbst faltbare Wurfzelte, Landkarten oder Packungsbeilagen. ?Faltet man eine solche auf, bringt man sie ja oft nicht mehr in ihre urspr¨¹ngliche Faltung zur¨¹ck. W¨¹rde sie sich hingegen jedes Mal von selbst korrekt falten, w¨¹rde das doch einige M¨¹he sparen?, erkl?rt Faber mit einem Augenzwinkern.

Die 3D-gedruckte Imitation des Ohrwurmflügels lässt sich kompakt falten. Der Faltautomatismus funktioniert allerdings nur bei stärker vereinfachten Prototypen. (Bild: ETH Zürich / Peter Rüegg)
Die 3D-gedruckte Imitation des Ohrwurmfl¨¹gels l?sst sich kompakt falten. Der Faltautomatismus funktioniert allerdings nur bei st?rker vereinfachten Prototypen. (Bild: ETH Z¨¹rich / Peter R¨¹egg)

Literaturhinweis

Faber JA, Arrieta AF, Studart AR. Bioinspired spring origami. Science, published online, 22nd March 2018. DOI externe Seite10.1126/science.aap7753

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